Booklettext "Scorned - Eine Frau sieht rot"

Booklettext "Scorned - Eine Frau sieht rot"
4. Juli 2019, 10:45
Im vergangenen Jahr erschien über das Label Focus Media der Film Angel and Devil - Eine Frau sieht rot (Scorned), für den ich einen analytischen Text schrieb, der letztlich leider nur in wenigen Auszügen Verwendung fand. Daher stellen wir nun den vollständigen ursprünglichen Text kostenlos für alle Interessierten zur Verfügung.

Scorned – Die Rache einer Frau

Achtung: Der Text nimmt sehr viele Handlungselemente vorweg. Es wird empfohlen, ihn erst nach Ansicht des Films zu lesen.

Eine verhöhnte Frau und ein verachtetes Genre?

Wenn wir einen Blick in die erste Hälfte der 1990er-Jahre zurückwerfen, begegnen uns dort in den Videotheken neben den aktuellen Blockbustern eine Menge kleiner und preisgünstiger Produktionen, die rein für den Videomarkt entstanden sind. Dazu gehören neben Horror (für Produzenten fast immer eine sichere Bank), Science-Fiction (gerade in den 90er-Jahren hatte das Genre Hochkultur) und Kampfsportfilmen (so wimmelte es zu jener Zeit geradezu vor Kickboxern) vor allem auch Erotikfilme und Erotikthriller.

Das Genre des Erotikfilms finden wir im Kino vor allem in den 1970ern verstärkt, insbesondere aus Deutschland und Frankreich. Ab Mitte der 70er kam dann auch der Hardcore-Pornofilm hinzu, der in den 80ern schließlich die Vormachtstellung errang – vor allem in den Videotheken. Mit dem Aufkommen der Videotechnik wurde es schließlich auch immer einfacher und günstiger, solche Produktionen im Dutzend herunterzukurbeln. Dennoch hielt sich der Erotikfilm immer noch parallel am Markt, wenn auch mit kleineren Anteilen als noch einige Jahre zuvor. Allerdings hielten diese Filme dem Porno vor allem entgegen, dass sie in der Regel auf Filmmaterial gedreht wurden und meistens eleganter aussahen. Aus Italien ist hier vor allem Aristide Massaccesi alias Joe d’Amato zu nennen, der unzählige kleine Erotikfilme drehte. Zu bemerken ist vor allem, dass die Filme mit der Zeit einen immer amerikanischeren Look bekamen. Häufig waren sie – zumindest in Teilen – in Amerika gedreht und auch die ganze Optik wurde immer mehr dem amerikanischen respektive dem Werbe-Vorbild angepasst.

Neben der Videoauswertung hatten die Erotikfilme aber noch einen weiteren großen Absatzmarkt: das Privatfernsehen. In Deutschland waren in den 1980ern SAT.1 und RTL an den Start gegangen, die damals noch einen starken Kontrast gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern bieten wollten. Dies geschah u. a. durch das Senden von Horror- und Erotikware. Als in den 90ern dann immer mehr Privatsender aus dem Boden schossen, wurde das Verlangen nach sendefähiger Ware natürlich immer größer, weshalb auch viele preisgünstige Produktionen regelmäßig versendet wurden. Dies ging auch so weit, dass RTL 2 regelmäßig Pornoproduktionen entschärfte und im Nachtprogramm präsentierte. So mancher Heranwachsender machte dort seine ersten Begegnungen mit Ginger Lynn und P.J. Sparxx, aber auch mit Shannon Whirry und vor allem Shannon Tweed.

SCORNED passt auf den ersten Blick perfekt in diese Zeit. Doch wir wollen den Film einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen, um zu schauen, ob er lediglich typische Erotikfilmunterhaltung bietet oder ob er sich vom Gros jener Produktionen abzuheben versucht bzw. wie stark seine Thriller-Aspekte ausgeprägt sind.

When Lust overcomes Reality?

Bereits der Vorspann ist recht stilvoll, zeigt er uns doch Bilder aus den glücklichen Tagen der Langleys. Fast immer bekommen wir zuerst sehr großformatige Ausschnitte zu sehen, erst dann wird der Rest der Bilder gezeigt. Die Musik dazu ist passend und wird uns im weiteren Film immer wieder begegnen. Vor allem lässt sie erahnen, dass uns schlimme Dinge bevorstehen. Im Vorspann erscheint uns ja nach Fassung ein anderer Titel – tatsächlich bietet SCORNED so einige alternative Titel auf, wobei eben genannter als Haupttitel gilt. Die US-Fassung zeigte uns A WOMAN SCORNED, die deutsche Fassung ANGEL AND DEVIL - auf DVD auch mit dem Zusatztitel EINE FRAU SIEHT ROT, was sich direkt auf den ersten DEATH WISH-Film mit Charles Bronson bezieht, der im deutschsprachigen Raum unter EIN MANN SIEHT ROT lief. Diese Verbindung funktioniert hier recht gut, da wir es im Verlauf des Films mit einem Hauptcharakter zu tun bekommen, der Selbstjustiz übt.

Bereits nach dem Vorspann nimmt die von Shannon Tweed gespielte Patricia Langley eine Waffe aus einer Schublade und geht auf einen schlafenden Mann zu. Schon in diesen ersten Sekunden wird vorweggegriffen, welche Rolle Patricia später spielen wird, wobei der Zuschauer hier lediglich ein paar Sekunden rätseln darf, ob sie den Schlafenden töten will, denn sehr schnell erfahren wir, dass es sich um ihren Mann Truman handelt. Beide durchsuchen das Haus, aber das von Patricia gehörte verdächtige Geräusch entpuppt sich als weibliches Überbleibsel einer Party aus der vorhergehenden Nacht.

Der Wechsel ins Haus von Familie Weston zeigt und dann gleich ein ganz anderes Bild: Eine noble Unterkunft, in der hektische Betriebsamkeit herrscht, da alle Personen gestresst wirken. Selbst der Geburtstag des Sohns Robey wird da zur Nebensache und selbst das Gratulieren wird der Haushälterin Belle überlassen. Wir haben es hier also mit einer hochgestellten Familie zu tun, in der die Karriere eines jeden Mitglieds über allen anderen Dingen steht.

Mit der Karriere vorankommen möchte auch Truman Langley, der am Abend einen Geschäftspartner, Mason Wainwright, zum Essen mitbringt. Wenn er ihn zum Vertragsabschluss überreden kann, würde er gemäß Absprachen zum neuen Teilhaber seines Arbeitgebers aufsteigen. Dazu hat er sich auch einen neuen Sportwagen geleast, trotz hoher Schulden. Hier herrscht das typisch amerikanische Bild vor, dass man seine Statussymbole präsentieren muss, um „etwas zu sein“.

Jener Wainwright wird gleich äußerst schmierig und hinterlistig präsentiert, um dem Zuschauer einen Hass-Charakter zu liefern. Nach einigem Hin und Her (und gutem Zureden seitens Truman) lässt es Patricia über sich ergehen, mit Wainwright zu schlafen. Diese Szene ist die erste, die in die erotische Richtung zielen könnte, sie wird aber eher schockierend inszeniert, kommt doch der Akt eher einer Vergewaltigung gleich, mit dem einzigen Unterschied, dass Patricia sich nicht wehrt. Dennoch: Ihr laufen die Tränen herunter und Truman wendet sich entsetzt ab, als er die beiden für einen kurzen Moment beobachtet. Zudem ist die Musikuntermalung dramatisch und keinesfalls anturnend.
Fantastisch ist zudem der kurze Moment, der auf diese Szene folgt: Truman und Patricia liegen stumm nebeneinander im Bett und starren in die Luft. Hier spiegeln sich Fassungslosigkeit und die Frage, ob die mögliche Karriere eines solchen Opfers wert war, wider.

Bei Westons hatten wir gerade einen schwelenden Vater-Sohn-Konflikt erlebt, da der Filius Robey keine Lust mehr auf Schule hat und lieber mit einem Mädel anbandeln würde. Vater Alex will ihn aber unbedingt auf die Brookview Academy, eine der besten Schulen Amerikas, schicken und nimmt ihm als Konsequenz den Autoschlüssel ab.

Als Truman ins Büro fährt, wird ihm mitgeteilt, dass er nicht neuer Teilhaber wird, sondern Alex Weston, der neu in der Firma einsteigt. Weil Truman noch weiter zurückstecken muss, fährt er wutentbrannt davon und erwischt dabei beinahe noch Weston mit seinem roten Rennschlitten mit dem auffälligen Kennzeichen 2LTL2LT, was als ironischer Kommentar zur eben erlebten Szene passt: „too little too late“, also übersetzt „zu wenig, zu spät“. Truman hat zu wenig für die Teilhaberschaft getan und kam zu spät.

Am Sonntagmorgen möchte Alex gerne mit seiner Frau Marina schlafen, die aber ablehnt, da sie ihren Eisprung hat. Außerdem lenkt sie den romantischen Moment in eine eher philosophische Richtung, da sie Alex fragt, ob er sie auch als Fremde begehrte und nicht nur als Ehefrau. Hier wird der zweite Moment für eine Sexszene ausgelassen. Währenddessen will Truman noch ins Büro fahren und erzählt Patricia, dass er abgesägt wurde. Hier ist etwas auffällig und fragwürdig, dass Patricia sich von der von Truman initiierten Vergewaltigung erstaunlich schnell wieder erholt zu haben scheint.
Truman erschießt sich in seinem Büro, wo er von einer einsamen Putzfrau, die den Schuss hörte, gefunden wird. Dieser Moment ist ebenfalls erstaunlich ungraphisch geraten, da man nur eine recht harmlose Schusswunde und wenig Blut sieht.

Viel effektiver als diese Szene ist die nachfolgende geraten: Man sieht in einer Kamerafahrt eine zerbrochene Kaffeetasse, ein Telefon und die am Boden sitzende weinende Patricia, die gerade die Nachricht vom Tode ihres Mannes erfuhr. Diese formelle Gestaltung kann die Schwächen der vorhergehenden Szene ausbügeln.

Als sie wenige Tage später die Firma ihres Mannes aufsucht, um nach der Versicherung für ihn zu fragen, teilt ihr der Chef mit, dass die Versicherung im Selbstmordfall nicht zahlen würde. Sie wird aber gebeten, in Trumans altem Büro, das jetzt von Alex Weston besetzt wird, die verbliebenen Gegenstände ihres Mannes durchzusehen und mitzunehmen.

Als sie dort ein Foto von Westons Familie sieht, wird sie wütend und entschließt, Rache an ihm für den Tod ihres Mannes zu verüben. Das Motiv wirkt hier an den Haaren herbeigezogen, da die Schuld dafür nicht allein bei Alex Weston zu suchen ist, sondern die Situation auch ganz klar an Truman selbst und seinem Lebensstil lag. Patricia jedenfalls macht sich an Westons Computer zu schaffen und druckt sich einige persönliche Daten aus, geht Adressen durch und nimmt einen Ordner mit. Dies ist ein weiterer Punkt, den der Zuschauer akzeptieren muss: Es ist doch recht unwahrscheinlich, dass ein Manager, der gerade frisch in ein Unternehmen eingestiegen ist, bereits seine wichtigsten persönlichen Daten inklusive Kontobewegungen auf seinem Rechner gespeichert hat.

Im Auto bekommt Patricia Flashbacks vom Abend mit Wainwright und erleidet beinahe einen Zusammenbruch. Scheinbar kurz darauf fährt sie bei Wainwright vor, der ihr im Bademantel die Tür öffnet. Wiederum eher unwahrscheinlich, dass ein so wohlhabender Geschäftsmann einfach selbst zur Grundstückspforte geht, ohne einen Bediensteten vorzuschicken. Sie zückt die Waffe und schießt ihn nieder. Auch dies wird von niemandem registriert.

Seinen Tiefpunkt hatte der Film mit den letzten Minuten erreicht, ab jetzt geht es wieder aufwärts, denn der Zuschauer kann nun den Racheplänen Patricias beiwohnen. Sie verfolgt Robey bis zur Schule, gibt sich dort als Mutter eines Kindes aus, das in Kürze die Schule besuchen soll und erhält nicht nur eine Liste von Nachhilfelehrern, sondern entwendet auch Briefpapier der Schule.

Sie schreibt einen Brief an die Westons, in dem steht, dass Robey nur mit besseren Noten für die Brookview Academy empfohlen werden kann. Marina Weston will sich gleich um einen Nachhilfelehrer kümmern, da praktischerweise gleich eine Liste dem Brief beiliegt. Wir Zuschauer wissen natürlich nicht, inwiefern Patricia die bestehende Liste modifiziert hat, aber die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich sie engagiert wird, ist nicht sehr hoch, außer, sie hat sich an den Kopf der Liste gesetzt. Damit der Plot voranschreitet, wird Patricia gleich engagiert. Sie nennt sich in der deutschen Fassung nun Amanda Cressfield. Dies ist eine Modifikation des englischen Namens, Chessfield, der sicherlich bedeutend besser passt, da Patricia/ Amanda künftig die Familienmitglieder der Westons wie Figuren auf einem Schachbrett bewegen wird.

Es passt natürlich vollkommen in Amandas Plan, dass sie im Gästehaus auf dem Grundstück der Westons wohnen darf. Am nächsten Morgen holt sie Robey von der Schule ab und präsentiert sich dort mit dem geleasten Sportschlitten ihres Mannes und äußerst knapper Kleidung. Dies ist, da der Abend mit Wainwright abstoßend intendiert war, der eigentliche Startschuss zum Erotikteil des Films, der untypischerweise erst nach einem Drittel des Films eintritt. Bis dato handelt es sich eher um ein Drama mit leichtem Thrillereinschlag.

In der darauffolgenden Szene ist schon zu bemerken, dass Amandas Plan aufzugehen scheint: Robey wird ob seiner hormonellen Schwankungen zusehends nervöser. Dies unterstützt der Film gut durch das immer lauter werdende Uhrenticken.

Anderntags hilft Amanda Marina mit den Einkäufen und lässt ihr ein Bad ein. Als das Telefon läutet geht sie ran. Am anderen Ende ist Kramer, der ehemalige Chef Trumans. Auf Marinas Nachfrage antwortet Amanda allerdings, eine andere Frau sei dran gewesen, um die Saat der Eifersucht in ihr zu säen. Obendrein gibt sie Marina mit Beruhigungsmitteln versetzten Wein. Als Amanda sie später aus der Badewanne holt, werden wir erneut nur mit äußerst wenigen nackten Tatsachen konfrontiert. Wiederholt ist der Film deutlich zahmer als vergleichbare Erotikwerke jener Zeit. Darüber hinaus durften wir vor der Badeszene eine Einstellung Marinas begutachten, wie sie nachdenklich vor dem Spiegel sitzt. Diesen Moment möchte ich exemplarisch herausgreifen für die mindestens solide, manchmal gar äußerst schöne Kameraarbeit des Films, auch wenn dem Film natürlich seine 90er-Jahre-Optik anhaftet.

Des Abends raucht Robey am Swimming Pool eine Zigarette. Als er seinen Basketball zu weit wirft, landet der am Gästehaus. Grund genug für Robey, Amanda zu beobachten. Diese bemerkt ihn allerdings, weshalb sie ihm (und damit uns Zuschauern) eine kleine Selbstbefriedigungs-Show liefert. Allerdings bleibt der Film auch hier erstaunlich züchtig und präsentiert nicht einmal nackte Brüste. Dafür wird der Voyeurismus der Szene gleich doppelbödig präsentiert: Wir befinden uns in Robeys Perspektive, dürfen (und möchten höchstwahrscheinlich) also Amanda bei der Selbstbefriedigung zusehen. Andererseits ist sich Robeys bzw. unser Objekt der Begierde dessen bewusst und spielt mit seinen bzw. unseren Erwartungen. Wir als Zuschauer werden also gleichsam als Voyeure enttarnt. Die Szene wird zu Robeys Verdruss durch die Haushälterin Bella unterbrochen, die ihn beim Spannen erwischt.

Wenig später sucht Amanda den frisch geduschten Robey auf und spielt die Rolle der gestrengen Lehrerin. Sie schlägt ihn mit dem Lineal, küsst ihn aber auch und sagt, er müsse einfach nur klopfen, wenn er etwas von ihr wolle. Die erotische Spannung wird weiter gesteigert und darf sich schließlich in der nächsten Szene entladen, in der Robey das Gästehaus aufsucht und sogleich eingelassen wird. Amanda entledigt sich gleich ihres Slips, behält aber ihr Kleid an – eine von jeher bewährte Methode im Erotikgenre, um eine Sexszene präsentieren zu können, ohne zu viel Details preiszugeben. Dies zeigt sich weiter in der ersten Stellung, der Reiterposition: Die wird in diesem Genre gern genutzt, um eine Mischung aus „nicht zu viel zeigen“ und „so viel wie möglich zeigen“ zu erreichen. Erotikstandard ist auch die wenig inspirierte Softcoremusik, die hier zum ersten Mal ertönt. Da ansonsten eine bessere Musik eingesetzt wurde, dürfte diese Entscheidung als Anbiederung an die üblichen Genreklischees gelten. Beim darauf folgenden angedeuteten Oralverkehr befindet sich die Kamera wieder außerhalb des Fensters, der Zuschauer wird somit erneut in die Position des Voyeurs gedrängt; diesmal, ohne dass ein Charakter im Film ihm ein Alibi verschaffen könnte. Das Ende der Szene in der Missionarsstellung ist durch die eingesetzte Fahrt wiederum sehr elegant. Als Robey schließlich ins Wohnhaus zurückkehrt, wird ihm von seinem Vater als Strafe fürs lange Wegbleiben weiteres Büffeln nach der Schule verordnet – nicht wissend, dass Robey das nur äußerst Recht ist.

Am nächsten Tag geht es Marina nicht allzu gut. Sie benahm sich am Vorabend wohl sehr daneben, was Alex auf hohen Alkoholkonsum zurückführt, auch wenn Marina das bestreitet. Wir Zuschauer wissen bereits, dass es sich auf die Tabletten im Wein zurückführen lässt (auch, wenn diese wohl eine verzögerte Wirkungsdauer haben müssten, wenn man die Zeit, die zwischen Bad und Party vergangen ist, in Betracht zieht). Ein folgendes Gespräch zwischen Alex und Amanda wird von der misstrauischen Marina beobachtet.

Nachdem die Haushälterin Belle eine Jalousie am Gästehaus angebracht hat, fasst Amanda einen teuflischen Plan: Am Folgetag soll Belle die Bettwäsche der Westons waschen. Während sie telefoniert, spannt Amanda eine Angelschnur an der Kellertreppe und dreht die Lampe heraus. Belle geht daraufhin im Dunkel die Kellertreppe herunter, stolpert und schlägt leblos auf dem Boden auf. Amanda entfernt schnell die Schnur und dreht die Lampe wieder herein. Diese Szene gehört zu den bestgefilmtesten des ganzen Werks. Die Vorbereitungen sind mit einer gewissen Eleganz und zu Beginn einer sorgfältigen Kamerafahrt gedreht; als Belle die Treppe heruntersteigt ist die Szene suspenseartig angelegt: Wir Zuschauer wissen im Gegensatz zum Charakter, was passieren wird. Dazu steigt sie sehr, sehr langsam Stufe für Stufe herunter, wobei einige Momente aus verschiedenen Perspektiven mehrfach gezeigt werden, um den Moment des Sturzes möglichst weit hinauszuzögern. Leider ist eben jener nicht mehr ganz überzeugend umgesetzt, da sehr viel zwischen verschiedenen Einstellungen gewechselt wird, da wahrscheinlich das gedrehte Material zu unspektakulär aussah. Zudem liegt Belle – je nach Einstellung – in drei verschiedenen Positionen. Das zieht diese ansonsten sehr schöne Szene leider ein wenig nach unten. Dennoch wird hier zum ersten Mal sehr deutlich, dass Regisseur Andrew Stevens mit diesem Film vielmehr einen Thriller denn einen Erotikfilm produzieren wollte.

Als Robey am Nachmittag heim kommt, wird er von Amanda für seine schlechten Französischkenntnisse bestraft. Dies ist natürlich ein althergebrachtes Klischee, das bereits Jahrzehnte vorher zu genüge bedient wurde. Glücklicherweise entwickelt sich diese Szene in eine andere Richtung als erwartet, da zu Marina geschnitten wird, die das Haus betritt und nach Belle sucht. Unterstützt durch die Musik entwickelt sich hier ein spannender Moment, der den Zuschauer mitfiebern lässt, ob sie nicht das verbotene Liebesspiel bemerken wird. Doch sie entdeckt Belle und schreit. Diese ca. dreiminütige Sequenz kann sicherlich als spannendster Moment des Film gelten.

Nachdem die von Selbstvorwürfen gequälte Marina sich ins Bett zurückgezogen hat (natürlich unterstützt durch Beruhigungsmittel), kommt Amanda zu Alex. Beide sprechen über Marina, wobei Amanda natürlich scheinbar beiläufig die Nachteile der Beruhigungsmittel erwähnt. Alex hat nun seinen schwachen Moment und lüftet Amandas Kleid, als diese sich verführerisch über den Billardtisch beugt. Der anschließende Akt wird von draußen durch Robey beobachtet, womit wieder das Voyeurmotiv angewendet wird.

Später lässt Robey seinem Vater gegenüber durchblicken, dass er den Akt beobachtet hat. Er holt seine Autoschlüssel zurück und hat Alex nun in der Hand. Aus diesem Grunde geht Alex am nächsten Tag gegenüber Amanda etwas auf Distanz. Diese aber kümmert sich weiter um Marina und verabreicht ihr weitere Beruhigungsmittel. Sie fungiert aber auch als Trösterin und liebkost die etwas Weggetretene. Hier sieht man tatsächlich einmal Marinas Brust, während Amanda ihr unter der Decke in unteren Regionen zur Hand geht. Dies ist wahrscheinlich der erotischste Moment des ganzen Films, der allerdings nicht lange währen darf, denn Marina wacht auf, weil sie Robey hört, der – seine neue Machtposition nutzend, was seine Mutter allerdings nicht weiß – nicht in der Schule war. Beide geraten in Streit, in dessen Folge sie ihn ins Gesicht schlägt.

Dies ist eine weitere beabsichtigte Entfremdung Robeys von der Familie. Amanda intensiviert das noch, indem sie durchblicken lässt, Alex hätte sich gegen ihren Willen an ihr vergriffen. Robey ist wütend, doch Amanda hält ihn mit Aussicht auf Abreise in wenigen Tagen zurück. Spätestens hier muss man sich fragen, ob Amanda so viel Zutun an der Entfremdung zwischen Eltern und Sohn hat, denn bereits zuvor war ihr Verhältnis, insbesondere zwischen Alex und Robey, nicht sonderlich gut. Amanda wirkt hier höchstens als eine Art Brandbeschleuniger, der den Prozess beschleunigt. Da sich die Situation im weiteren Verlauf des Films nicht extremer zuspitzen wird, ist zumindest dieser Plan nicht allzu teuflisch.

Ganz im Gegensatz zum nächsten Versuch, Marina noch eifersüchtiger zu machen: Sie nimmt (während sie die Titelmelodie summt) einen ihrer Ohrringe und gibt an, ihn in der Bügelwäsche gefunden zu haben, in der Hoffnung, dass Marina den zweiten noch besitzt.

Als Alex später nach Hause kommt, findet er Marina im Bett vor. Was nun folgt, ist die wahrscheinlich unangenehmste Szene des ganzen Films: Er zieht sie brutal aus dem Bett und schleift sie unter wüsten Beschimpfungen auf Grund ihres (angeblichen) Beruhigungsmittelkonsums unter die Dusche und stellt das Wasser an. Marina weint dabei und sinkt unter dramatischer Musik zu Boden, ebenso Alex. Nun erlaubt sich der Film aber, auch Robey, der das Drama mitgehört hat, zu Boden sinken zu lassen. Dieses dritte metaphorische „am Boden sein“ ist vielleicht ein wenig arg übertrieben und wirkt daher wenig ernstzunehmend. Schön ist allerdings die folgende Kamerafahrt im Badezimmer, indem durch die schlussendlich erreichte höhere Kameraposition die beiden Akteure noch kleiner, noch weiter unten wirken. Leider ist diese eigentlich wirkungsvolle Szene etwas schnell vorbei, wodurch sie ein wenig von ihrer Wirkung einbüßt und beliebiger wird, als sie eigentlich sollte.

Eines anderen Tages geraten Robey und Alex wieder aneinander, aber Alex behauptet sich im Hahnenkampf. Zudem hat er Marinas Tabletten im Abfluss heruntergespült. Was ihm allerdings trotz eindeutigen Hinweises nicht auffällt, ist, dass diese in Amandas Sweatshirt steckten. Hier müsste der Charakter eigentlich ins Grübeln kommen. Amanda unterhält sich später bei einem Kaffee mit Marina, die – von anderen Pillen plötzlich narkotisiert – ihre Tasse fallen lässt. Obschon sie sehr erschrocken darüber ist, was mit ihr geschieht, kommt sie nicht auf die Idee, Amanda noch einen Tag früher aus dem Dienst zu entlassen, was man als Zuschauer ebenfalls einfach hinnehmen muss.

Abends geht Robey zu Amanda und erzählt ihr, ein Freund würde ihn am Folgetag zum Flughafen bringen. Da dies die letzte Möglichkeit zum Abschied ist, landen beide erneut im Bett. Dies ist die am stärksten an andere Erotikfilme erinnernde Szene: Beide Protagonisten arbeiten sich in Zeitlupe auf dem Bett aneinander ab, es gibt viele Überblendungen und weiches Licht. Ebenso wird ganz der Akt in den Mittelpunkt gerückt, denn außerhalb des Bettes und des Paares sieht man nichts – der komplette Hintergrund rundherum ist schwarz. Die Szene wird lediglich durch die recht typische Softporno-Musik nach unten gezogen.

Am Folgetag sagt Alex, er käme abends spät nach Hause und hätte sich bereits am Vortag von Robey verabschiedet. Als er zur Arbeit fährt, sieht er Amandas Kennzeichen – es rattert merklich in seinem Kopf, ohne dass er konkrete Schlüsse ziehen würde. Zum einen ist es erstaunlich, dass es ihm erst so spät auffällt, zum anderen könnte es wieder als ironischer Kommentar zu Alex‘ Situation passen: Er weiß zu wenig und merkt zu spät, dass in seinem Haus etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Amanda verlässt scheinbar ebenfalls das Haus.

Nun lässt Regisseur Stevens das große Finale beginnen und zieht nach den letzten Ausflügen in die Bereiche Familiendrama und Erotikfilm wieder die Thrillerschraube an. Ein Gewitter suggeriert Unheil. Als Marina im Bett das klingelnde Telefon abhebt, hört sie nur ein Stöhnen. Nach einem weiteren Anruf ohne Reaktion auf der anderen Seite der Leitung will sie die Polizei anrufen. Blitz und Donner krachen, das Telefon ist tot und das Licht aus. Marina geht angsterfüllt durchs Anwesen, Streicher erklingen zur Spannungserzeugung. Sie nimmt sich ein Messer (was spätestens ab HALLOWEEN von 1978 fester Bestandteil eines Slasher-/ Horror-/ Thrillerfilms wurde) und durchsucht das Haus weiter in der Annahme, auf Amanda zu treffen. Als sich ihr (geschickt durch eine geöffnete Tür verdeckt) jemand nähert, sticht sie zu. Aber es war nur Alex, dem sie eine Schnittwunde an der Hand zufügt.

Alex drückt hingegen die herausgesprungene Sicherung wieder rein und probiert das Telefon aus. Er hält Marina für nicht zurechnungsfähig, was seiner Meinung nach an ihrem Tablettenkonsum liegt. Mit dem Hinweis, keine Beruhigungstabletten mehr zu nehmen, geht Marina wieder nach oben – nicht ohne Amanda als potentielle Mörderin zu verdächtigen. Alex sagt, sie sei nicht im Hause. Doch schon wenige Augenblicke später tritt sie vorsichtig aus der Kellertür, verschwindet aber scheinbar wieder.

Am nächsten Tag ist Alex verständlicherweise etwas durcheinander. Seine Sekretärin greift ihm unter die Arme, weshalb er ihr Komplimente macht. Ihre Antwort, er mache fast so gute Komplimente wie sein Vorgänger, nur dass er noch keinen roten Sportwagen führe, macht ihn nun endgültig nachdenklich.

Marina findet währenddessen das blutige Küchentuch vom Vorabend sowie ihre getöteten Vögel (ihre „Lieblinge“, wie sie sich ausdrückt). Weinend steht sie unter der Dusche. Als sie danach ihr Schlafzimmer aufsucht, entdeckt sie dort reichlich spät ein Tablett mit Tee und Messer auf dem Bett. Reichlich spät daher, da es ihr eigentlich bereits beim Eintreten hätte auffallen müssen, sie es aber erst bemerkt, als sie direkt davor steht. Sie liefert sich einen Kampf mit der plötzlich auftauchenden Amanda. Beide geraten nach kurzem Handgemenge quer durch das Haus wieder ins Schlafzimmer, wo Amanda sie ans Bett fesselt und ihr eine Tablette verabreichen und die Pulsadern aufschneiden will, damit es wie Selbstmord aussieht. Fraglich ist nur, ob bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung nicht die verdächtigen Fesselspuren an den Handgelenken auffallen würden. Aber so weit denkt selten ein Film, der primär oder sekundär dem Erotikgenre zuzurechnen ist – ganz zu schweigen von einigen ernsthaften Thrillern.

Nun wird merklich das Tempo angezogen, denn Alex findet in Trumans privaten Überbleibseln ein gemeinsames Foto der Langleys. Bei einem versuchten Telefonat ist im Hause Weston die Leitung tot. Er rast daraufhin nach Hause, während Amanda wartet, bis die Tablette wirkt. Das ist ein etwas abgeschmacktes Plot-Device, damit Spannung aufgebaut werden kann und sie im letzten Augenblick von ihrer Tat abgebracht werden kann. Tatsächlich taucht Alex im rechten Moment auf, als Amanda Marina den ersten Schnitt am Handgelenk beibringt. Beide liefern sich ein kleines Wortgefecht, in dessen Folge Alex Amanda so stark schlägt, dass sie durch das Fenster fällt und scheinbar leblos vor dem Haus liegen bleibt.

Als später Polizei und Rettungskräfte vor Ort sind, ist Amanda verschwunden – auch das ist etwas, was man aus unzähligen Horrorfilmen und Thrillern kennt. In der Regel bereitet der Täter dann einen finalen Schlag gegen die Protagonisten vor. Auch hier erscheint es zuerst darauf hinaus zu laufen: Als Marina (eines? – Der Film ist hier bezüglich der vergangenen Zeit nicht ganz eindeutig.) Abends vom Duschen zurück ins Schlafzimmer kommt, sieht sie wieder ein Tablett mit Tee auf dem Bett stehen. Doch es stammt nur von Alex, der sich scheinbar wieder mehr seiner Frau als seiner Karriere zuwenden will. Robey ruft an und spricht kurz mit Marina. Die richtet schöne Grüße an dessen Freundin aus – wie sich in der letzten Einstellung zeigt, handelt es sich um Amanda…

Hell hath no fury like a woman scorned?

Dieses Sprichwort lautet übersetzt: „Die Hölle kennt keinen schlimmeren Zorn als den einer verlachten Frau.“ Aber ist das hier wirklich der Fall?
Wenn man es genau nimmt, bringt Patricia zwar Unruhe in die Familie Weston und verstärkt den bereits bestehenden Vater-Sohn-Konflikt, setzt Marina psychisch zu und will Alex hilflos zurücklassen, aber im Endeffekt begeht sie ihre schlimmste Tat mit dem Mord an der Haushälterin Belle. Marina und Alex finden scheinbar wieder zueinander und auch Robey ist mit der Beziehung zu Amanda/ Patricia glücklich. Aus dem Ende wird nicht klar, wie die Zukunft für den Filius aussehen wird – vielleicht wird er zu Grunde gehen, möglicherweise gar sterben, vielleicht passiert aber auch nichts – auch, wenn man sich schwer vorstellen kann, wie ein Zusammentreffen von Robey samt Freundin mit seinen Eltern aussehen würde…

Bei genauerem Nachdenken hat der Film einige wenig glaubwürdige Momente bezüglich seiner Charaktere und einiger Entwicklungen innerhalb der Handlung, aber dennoch gehört er meines Erachtens zu den besten Erotikthrillern, weil er – abgesehen von der Softsexmusik – einige gutgefilmte erotische Szenen hat und neben dem Familiendrama auch einige gute Spannungsmomente verzeichnen kann. Vor allem durch das Spiel der Kanadierin Shannon Tweed wirkt dieser Film besser als vergleichbare Werke seiner Zeit, denn sie findet die richtige Mischung aus Sexyness, Zielstrebigkeit und Dramatik. Nicht falsch verstehen: Der Film ist kein Klassiker und auch kein wichtiger Meilenstein der 90er-Jahre, aber er ist sehr unterhaltsam. Und das ist mehr, als man von vielen vergleichbaren Produktionen behaupten kann.

Der Film wurde 1997 mit DER RACHEENGEL (SCORNED 2) fortgesetzt, allerdings ohne Shannon Tweed in der Hauptrolle. Diese wurde von Tane McClure übernommen, die als Amanda Cressfield nun glücklich mit einem College Professor verheiratet ist. Als sie aber erfährt, dass er mit einer seiner Studentinnen Sex hat, kommen die ganzen Erinnerungen an früher wieder hoch, so dass sie einen Rachefeldzug gegen ihren Mann und alle, die sie – ihrer Meinung nach – ungerecht behandelten, startet. Inwiefern diese Storyentwicklung schlüssig ist, bleibt an anderer Stelle zu untersuchen…

Lars Dreyer-Winkelmann
rrr-audiovisuelle-medien.de